Annett Gröschner

ANNETT GRÖSCHNER
Journalistin, Schriftstellerin und Kolumnistin

Schwangerschaftsabbruch  in der DDR

Als ich acht Jahre alt war, wurde in der DDR die Fristenlösung eingeführt, der §218 war nur noch eine Erinnerung im Stück Cyancali von Friedrich Wolf. Die älteren Frauen um mich herum machten sich auch nicht mehr die Mühe, von ihren Abtreibungen bei Engelmacherinnen oder eigenen Versuchen mit Seife, Stricknadeln und Rotwein in der Badewanne zu erzählen. Wozu die alten Geschichten aufwärmen, die Zeit war ja Gottseidank für uns Jüngere vorbei. Meine Generation machte sich wenig Gedanken, dass es die Fristenlösung ohne Wenn und Aber eines Tages nicht mehr geben könnte, die Feministinnen unter uns wollten mehr psychologische Begleitung, weniger Lieblosigkeit in den Krankenhäusern, schonendere Methoden. Wir wussten noch nicht, dass die Fristenregelung nur 20 Jahre gelten und es uns nicht gelingen würde, zusammen mit den Frauen aus dem Westen eine gesamtdeutsche Fristenregelung ohne Strafbarkeit bei Abschaffung des §218 zu erreichen. (In Westberlin galt, das wissen viele nicht, bis zur gesamtdeutschen Regelung die Fristenregelung der DDR.) Es war unsere größte Niederlage. Mehr noch, dieser Kampf absorbierte über Jahre all unsere Kräfte, die wir für die anderen frauenpolitischen Zumutungen der bundesdeutschen Gesellschaft mit ihren zum Teil noch auf die Reichsgründung zurückgehende Gesetze hätten gut gebrauchen können.

Ich weiß noch, wie ich bei einer der zahlreichen Demonstrationen eine alte Frau in Weißensee am Straßenrand sah, die bitterlich weinte, weil sie Angst hatte, dass wir Jüngeren wieder die gleichen Qualen durchmachen müssten wie sie. Vor ein paar Jahren schilderten in einem Frauenzentrum in Marzahn ältere Frauen, die alle in medizinischen Einrichtungen der DDR gearbeitet hatten, in drastischen Worten, wie sie vor der Fristenregelung Frauen mit scheußlichsten Verletzungen aufgrund verunglückter Schwangerschaftsabbrüche behandelten. Sie erzählten es, um den Jüngeren zu sagen, dass sie immer wieder neu um dieses Recht kämpfen müssten. Das Erstarken der selbsternannten „Lebensschützer“ und ihre Bedrohung und Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche vornehmen und darüber informieren, gibt den alten Frauen leider Recht.