Jutta Begenau

JUTTA BEGENAU
Medizinsoziologin, Mitautorin des 1. Frauengesundheitsberichts 1999)

Stellungnahme 150 Jahre § 218

Am 9. März 1972 trat in der DDR  das „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ in Kraft. In der Präambel hieß es: „Die Gleichberechtigung der Frau in Ausbildung und Beruf; Ehe und Familie erfordert, dass die Frau über die Schwangerschaft und deren Austragung selbst entscheiden kann.“
Das Gesetz legte explizit die Entscheidung,  ob die Schwangerschaft ausgetragen werden soll/kann oder nicht, in die Hände der Frauen. Zudem wurde die unentgeltliche medizinische Versorgung beschlossen und erstmals allen Frauen ermöglicht, sicher und kostenfrei zu verhüten.

Ich war 1972 gerade 22 Jahre alt und glücklicherweise noch nie ungewollt schwanger geworden. Aber ich hatte Freundinnen, die mit einer Stricknadel abgetrieben hatten und nur durch Zufall nicht verblutet, sondern mit dem Leben davon gekommen waren. Das Gesetz bedeutete im Leben von uns Frauen eine Zäsur und war ein wichtiger Schritt hin zu unserer Emanzipation. Ich stand der DDR immer kritisch gegenüber. Dieses Gesetz einschließlich der Durchführungsbestimmungen halte ich der DDR jedoch sehr zu gute. 

Als ich 1983 Mitglied der Schwangerschaftsunterbrechungskommission für den Bezirk Mitte  in Berlin wurde, erlebte ich die Praxis. Im Mittelpunkt standen die Frau und ihr Antrag auf Unterbrechung  einer Schwangerschaft nach der 12. Woche oder einer 2. ungewollten Schwangerschaft innerhalb von 6 Monaten. Mit der antragstellenden Frau wurde die Problematik beraten und möglichst gemeinsam das Ja oder Nein des Schwangerschaftsabbruchs entschieden.

Was den Normalfall, also den Abbruch bis zur 12. Woche betraf, so  ist die übergroße Mehrheit der DDR-Frauen mit ihrer neu gewonnene Freiheit nicht leichtfertig, sondern verantwortungsvoll umgegangen. Zwar lag die Abbruchrate in der DDR immer über der in der BRD. Aber, und das ist für die Diskussion wichtig, Frauen in der DDR  entschieden sich  für einen Abbruch vor allem mit zunehmendem Alter und nach Abschluss ihrer Familienplanung.
Die 1972 beschlossene Fristenregelung bietet eine gute Grundlage, den längst fälligen Schritt in die Moderne für ganz Deutschland zu wagen.