Petra Bläss

PETRA BLÄSS
Diplom-Lehrerin, Mitglied und Vizepräsidentin (1998-2002) des Deutschen Bundestages (PDS), Mitbegründerin des Unabhängigen Frauenverbandes 1989)

150 Jahre § 218 – ein Jubiläum, das wütend macht!

Unfassbar, dass der Schwangerschaftsabbruch anno 2021 immer noch im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland steht und seine Regelung wieder ein politischer Zankapfel ist. Die aktuelle unsägliche Debatte um den § 219a StGB – das sogenannte „Werbeverbot“ -war und ist ein Armutszeugnis für eine moderne Gesellschaft, die auf Selbstbestimmung und Emanzipation setzt.

Zu DDR-Zeiten war für mich der § 218 Geschichte. Das Schicksal der 20jährigen Hete in Friedrich Wolfs „Cyankali“ stand symbolisch für das Leid, mit dem eineFrau konfrontiert ist, wenn ihre Entscheidung über ihren Körper und ihr Leben kriminalisiert wird. Bei den Verhandlungen zur Herstellung der deutschen Einheit wurde schnell klar, dass die in der DDR seit 1972 geltende Fristenregelung zur Debatte stand und damit der Kampf gegen den frauenfeindlichen §218 auf die politische Tagesordnung gehört. So wurde die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 im Laufe des Jahres 1990 zu einer zentralen der ostdeutschen Frauenbewegung und für mich als Abgeordnete des ersten gesamtdeutschen Bundestages zu einem Herzensthema. Ein politisches Zuhause und wichtiger Kraftquell wurde mir das damals gegründete bundesweite Frauenbündnis gegen den §218.

Mit Christina Schenk und mir für Bündnis 90/Die Grünen bzw. die PDS gab es zwei Vertreterinnen des Unabhängigen Frauenverbandes, die Anfang der 90er Jahre im Bundestag gegen eine konservative Mehrheit und einen allzu kompromissbereiten Mainstream offensiv dafür gestritten haben, dass der §218 ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Der zuständige Unterausschuss trug übrigens die skandalöse Bezeichnung „Schutz des ungeborenen Lebens“.Der Druck war erheblich, dem schwer errungenen Kompromiss eines reformierten §218 zuzustimmen, der für Ostfrauen ein klarer Rückschritt, für Westfrauen aber schon eine minimale Verbesserung im Vergleich zur bisherigen Regelung war.Alice Schwarzer warf mir seinerzeit in der „Emma“ vor, dass ich mit meiner Radikalposition eine mögliche Kompromisslösung verhindern könne. Am Vorabend der Bundestagsentscheidung vom 25. Juni 1992 zur Neuregelung des Abtreibungsrechts habe ich mir auf dem Berliner Alexanderplatz von tausenden Frauen Rückenwind für die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 geholt und nach einer nervenaufreibenden Debatte trotz des wahnsinnigen Drucks gegen den Kompromiss gestimmt. Für mich war das damals eine politische Existenzfrage als Feministin im Parlament.Bestärkt in meiner kompromisslosen Position contra §218 hat mich immer der Blick über den nationalen Tellerrand, insbesondere der verfassungsrechtliche Ansatz der US-amerikanischen „Pro Choice“-Bewegung, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Mittelpunkt stellt.

Die Frage, wie es eine Gesellschaft mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau über den eigenen Körper hält, ist und bleibt eine Art „Gretchenfrage“ – und die muss (nicht nur) hierzulande endlich zeitgemäß beantwortet werden. Die alte Kampfansage „Ersatzlose Streichung des §218!“ hat also nicht an Aktualität verloren.  Um langfristig politische Mehrheiten dafür zu schaffen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Frau endlich verfassungsrechtlich verankert und die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs„nur“ als medizinische Leistung geregelt wird, bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Debatte und Mobilisierung aller Kräfte, die für die Position stehen, dass FrauenrechteMenschenrechte sind.