Ulrike Busch

Ulrike Busch
Professorin für Familienplanung (i.R.), langjährige ehrenamtliche Mitarbeit im Bundesverband pro familia, Mitbegründerin und Geschäftsführerin Familienplanungszentrum Berlin

Statement zu 150 Jahren § 218

Das Thema Schwangerschaftsabbruch begleitet mich seit langem. In der DDR aufgewachsen, war es für mich selbstverständlich, dass Frauen eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen konnten, ohne sich rechtfertigen zu müssen, wie es überhaupt selbstverständlich für mich war, gleichberechtigt meinen Weg gehen zu können. Mit Erstaunen nahm ich als junge Frau zur Kenntnis, dass diesbezüglich in der BRD so Vieles anders war.

Mit der heraufziehenden deutschen Einheit war mir klar, dass zwei grundsätzlich konträre Rechtssysteme, politische Auffassungen und Alltagsgestaltungen zum Schwangerschaftsabbruch aufeinandertreffen würden. Da gab es nichts zu „harmonisieren“. Der Einigungsvertrag vertagte die Lösung auf Ende 1992, stellte aber die Weichen mit der Aussage, dass eine Regelung zu finden sei, die den „Schutz des ungeborenen Lebens“ und die „verfassungskonforme Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ sichere. Ich habe die Debatten und das Ringen miterlebt um einen Kompromiss: Der erste Versuch der Neuregelung, obwohl immer noch innerhalb des Strafrechts (also keine originäre außerstrafrechtliche Fristenregelung!), wurde durch das Bundesverfassungsgericht kassiert: Zu liberal, die Auffassung, dass ein Abbruch auf Wunsch der Frau rechtmäßig sein könnte und eine zwar fixierte Beratungspflicht nicht explizit den Lebensschutz zum Ziel macht. Auch ich konnte damals erst erahnen, wie die juristischen Konstruktionen im BVerfG-Urteil von 1993 Lebensrealitäten beeinflussen würde. Die folgenden parlamentarischen und außerparlamentarischen Auseinandersetzungen, die Statements von Verbänden und Wissenschaftler_innen konnten daran nichts ändern. Der § 218 ff. StGB von 1995 folgt den Vorgaben des Urteils. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag haben dazu beigetragen, diese dann als „Kompromiss“ bezeichnete Neuregelung anzunehmen. Selbst Feministinnen kommunizierten sie als Fortschritt, da ja nun ein Abbruch auf eigenen Wunsch der Frau möglich sei, wenn auch mit Beratungspflicht (zumindest aus der Perspektive der alten Bundesländer). Die bitteren Pillen wurden geschluckt, die Proteste erlahmten, viele arrangierten sich – ein Thema für sich.

Es ist bis heute immer wieder erstaunlich für mich zu erleben, wie konservative Rechtssprechung und Politik an ihren Positionen festhält, allen Veränderungen der Zeit zum Trotz. Internationale Erfahrungen mit anderen Rechtssystemen und Praktiken werden weitgehend ignoriert, ebenso die zunehmenden Diskussionen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und wissenschaftliche Befunde zu den immer deutlicher wahrnehmbaren Folgen der bestehenden gesetzlichen Regelung.

Aber mich beeindruckt, dass in den letzten Jahren die Stimmen derer, die das nicht hinnehmen und den existierenden § 218 StGB ff. auf den Prüfstand stellen wollen, jünger, lauter und vielfacher geworden sind. Es wird nicht ohne ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehen, dass sich von der bisherigen (Fehl-)Konstruktion der Grundannahmen verabschiedet und Verfassungskonformität zeitgemäß definiert.  Menschenrechte dürfen nicht nur zur beliebigen Phrase der Politik verkommen, sondern müssen, bezogen auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung, auch das Recht auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft einschließen. Auch dieser Kongress atmet diesen Geist.